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Sybil Gräfin Schönfeldt schreibt ...

Sie ist anspruchsvoll und unabhängig von Moden. Sie ist konzentriert, wartet ab, ehe sie spricht, sagt kein Wort zuviel. Sie wirkt zurückhaltend, aber sie besitzt eine Leidenschaft für jene, von denen sie schreibt und erzählt, die ihre Stimme so tönen läßt, dass es die Zuhörer bezaubert.

Die Zuhörer sind meist jung, denn Barbara Bartos-Höppner schreibt für Kinder und Jugendliche. Und ihre Bücher und ihre Art vorzulesen und von diesen Büchern zu erzählen sind so beschaffen, dass Kinder sagen: "Es ist so lebendig, dass man meint man wäre dabei gewesen", und für manche schmilzt die Grenze des Als-Ob, die Wahrheit der Geschichte wirkt so stark, dass die Kinder meinen, Erzählungen aus einer Zeit vor dreihundert Jahren seien Erinnerungen der Autorin. Oder sie sagen: "Ab morgen werde ich Leser." Diese intensive Imagination, die Heftigkeit und Ausschließlichkeit, mit der ihre Geschichten den Leser und den Zuhörer in eine Welt ziehen, die wirklicher als die Wirklichkeit erscheint, lassen einen die alte Frage stellen: Wieso kann man diese Bücher als Jugend-Literatur bezeichnen? Wo liegt der Unterschied zwischen Jugend-Literatur und allgemeiner Belletristik? Was soll das überhaupt: Literatur eigens für Jugendliche?

In der Tat: Es gibt kein Kriterium, das diese Bücher auf eine Gruppe der allgemeinen Leserschaft beschränkte. Es ist eigentlich nur der äußere Grund ausschlaggebend gewesen. Barbara Bartos-Höppner hat eine Zeitungsgeschichte für Kinder erzählt und hat dann ihre ersten Buch-Manuskripte Jugendbuchverlegern geschickt. Und sie hat an junge Leser gedacht, an Leser, die noch offen und aufnahmebereit sind, an Leser, denen sie Antworten auf die ersten und wichtigen Fragen geben konnte: Wie ist das Leben? Welche Ansprüche stellt es an mich? Was muss ich tun, wenn ich vor Entscheidungen stehe? Wie kann ich wissen, ob ich mich richtig entscheide?

Es mag an der Generation liegen. Wer in den zwanziger Jahren geboren ist, weiß, was ein Mensch aushalten kann, er ist dankbar, dass er überlebt hat, er geht mit manchem vorsichtiger um, weil er seinen Wert und seine Zerbrechlichkeit erfahren hat. Barbara Bartos-Höppner sagt, sie habe eine normale Familie und ein normales Leben gehabt. Das klingt erstaunlich, wenn man diese Familie und dieses Leben von heute aus betrachtet. Es ist auch verständlich, wenn man beides mit den Maßstäben misst, die zu ihnen gehören. Denn es war für Familien normal, Schicksalsschläge wie den Tod eines kleinen Bruders, die lange, schwere Krankheit und den Tod der geliebten älteren Schwester und den zu frühen Tod des Vaters zu ertragen, wobei Ertragen kein Synonym für Verdrängen bedeutete, sondern meinte, dass in einem normalen bürgerlichen Dasein Leben, Gesundheit und Sicherheit nicht als etwas Selbstverständliches betrachtet wurde, auf das man einen wie auch immer gearteten Anspruch besaß, sondern als ein Bestandteil der Existenz, die als solche ungesichert und gefährdet ist. Wo man aber Tod, Krankheit, Hunger und ähnliches als Teil eines gefährdeten Lebens sieht, da "wächst das Rettende auch", nämlich die Kraft, die dunkle Seite hinzunehmen, nicht gleichgültig, nicht kalt und unerschüttert, aber doch mit Haltung.

Insofern ist auch das Leben der jungen Barbara in der Tat normal gewesen, auch wenn es die Flucht aus Schlesien umschloss. Normal war es, Lebensmittel und Feuerung auf jede Art und Weise zu beschaffen, normal war es, arbeitslos zu sein, Arbeiterin zu sein, normal war es, hilflos zuzuschauen, wie die Mutter, trotz aller Mühe sich zu erhalten, verhungerte und anzufangen, Geschichten zu schreiben.

Diese Geschichten spiegeln die ganze Kraft und Festigkeit eines Menschen wider, der sein Überleben zwar als normal, aber nicht als selbstverständlich genommen hat. Es sind zutiefst moralische Geschichten, die ihre Prinzipien einer Welt entnehmen, die man nicht zutreffender als mit dem Begriff des Abendländischen bezeichnen kann. Doch da ist nichts von routiniertem Traditionalismus im Spiel. Was übernommen wurde, ist am eigenen Leben, an der eigenen Erfahrung - und da gab es genug Material - überprüft worden. Wenn es um Begriffe wie Gerechtigkeit, Gehorsam, Treue oder Selbstbewußtsein geht, so bewegt sich das fern vom Klischee, auch fern von einer allgemeinen Definition. Treue und Gerechtigkeit sind keine starren Begriffe, sie ändern sich in ihrer Realisierung, und gerade dieses feinste moralische Unterscheidungsvermögen, dieses Gefühl für den Moment, in dem ein Wert beginnt, seine bisherige Form zu verlieren und einen anderen Inhalt zu entwickeln, machen die historischen Romane so spannend, ob sie nun unter Kosaken, Wikingern oder kaukasischen Bergvölern spielen.

Gleichwohl bekennt sich die Autorin zur Tradition, in der sie gewachsen ist. "Die abendländischen Werte haben sich als tragfähig erwiesen, trotz aller Fehler - und Fehler werden auch heute gemacht. Doch: nichts ist notwendiger als das Füreinander im wortwörtlichen Sinn, aus einer Haltung heraus", sagt sie, "Menschen können nicht existieren ohne einen ruhenden Pol zu haben, ohne zu wissen, hier will ich hergehören, hier will ich meine Ordnung haben."

Zum Begriff Verantwortung des Schriftstellers sagt sie: "Man kann nicht verlangen, dass jeder Mensch mit der Freiheit etwas anfangen kann. Viele brauchen jemanden, der sie führt, viele sind arm an Sprache, da muss der andere da sein." Sie führt ihre Leser auch sinnlich: Sie ist, bevor sie ihre Bücher schrieb, die in Russland, Irland, auf Island und den Nordseeinseln spielen, in keiner dieser Gegenden gewesen, aber sie lebt sich so in die Landschaft, in die historische Zeit, in das Lebensgefühl ihrer Menschen ein, dass Einheimische sie fragen, wann sie denn dort und dort gelebt hätte, dass sie selbst Lesern, die auf ihren Phantasie-Spuren reisend die Wirklichkeit antreffen, diese genauer als eine Reiseleiterin erklären kann. Sie liest viel, schaut sich zeitgenössische Bilder an, hört Musik, und dann entsteht ein Land und eine Zeit, in denen alles stimmt, sei es das Elfenreich der Iren, sei es die Welt der Pferde, ein Land und eine Zeit, die gleichzeitig real und imaginativ sind, entworfene Welt und gelebte Welt, und das macht die Faszination aus: Wer die imaginären Räume liebt, der fühlt sich ebenso entzückt in einem neuen Reich der Phantasie, und wer die Realität schätzt, kann sich historische Kenntnisse aneignen.

"Der Jugend kann in unserer desolaten Welt nur helfen, wer an den Menschen glaubt. Er hat kaum Anlass, an die abgewerteten Zeitgenossen zu glauben. Sich selber wird er dabei nicht ausnehmen dürfen. Doch er muss einen gelungenen Entwurf vom Menschen vor Augen haben. Das hat nichts mit Schönfärberei zu tun. Und er muss an die Erziehbarkeit der Jugend zu solchen Menschen glauben. Weder Nihilismus noch Schwärmerei sind dabei seine Sache. Er hat das Museum der abgelegten Werte besichtigt. Er war in den Treibhäusern, worin künstliche Werte gezüchtet werden. Und er weiß, dass es, wenn auch nicht dort und nicht da, doch noch ein paar echte Werte gibt: das Gewissen, die Vorbilder, die Heimat, die Ferne, die Freundschaft, die Freiheit, die Erinnerung, die Phantasie, das Glück und den Humor. Diese Fixsterne leuchten noch immer über und in uns. Und wer sie der Jugend weist und deutet, zeigt ihr den Weg aus ihrer Schweigsamkeit und unserer Gegenwart in eine freundliche Welt, die wir, die Großen, sehen aber nicht betreten dürfen. Wir sind arm geworden. Mehr und anderes als dieses gestirnte Firmament und einen Wunsch auf den Weg können wir der Jugend nicht vererben."

Das hat Erich Kästner gesagt, 1953, bevor Barbara Bartos-Höppner ihren ersten Jugendroman geschrieben hat. Trotzdem: Es könnte ein Vorwort für ihre Bücher sein.

(Auszug aus der Festschrift: "Barbara Bartos-Höppner - 20 Jahre Jugendbuchautorin")

 

Eine "Erzählrunde" im Hessischen Fernsehen - anno 1970.
Von links: James Krüss, Barbara Bartos-Höppner, Peter Härtling, Otfried Preußler.



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